Hand eines Babys in der Hand seiner Mutter

Esslinger Mutmachgeschichten
Behütet nach Hause

Natürlich freuen sich alle, wenn das Frühgeborene oder kranke Kind nach einem langem Klinikaufenthalt nach Hause darf. Doch der neue Alltag birgt Herausforderungen, praktischer wie auch psychologischer Art. Die Sozialmedizinische Nachsorge hilft, zuhause anzukommen.

Ein Freitag im Februar. Eine junge Frau schiebt einen Kinderwagen durch die Straßen von Neuhausen. Die Sonne scheint. Das Baby schläft friedlich. Ganz normaler Familienalltag? „Heute haben wir das Sauerstoffgerät mal zuhause gelassen“, sagt Meike Breining. „Samuel kommt inzwischen gut ein paar Stunden ohne aus.“

Samuel ist knapp ein Jahr alt. Er kann sich über Kleinigkeiten halb kaputtlachen und robbt ehrgeizig quer durch die Wohnung. Am meisten aber liebt er es, sich bei seiner Mutter in den Arm zu kuscheln. „Er ist sehr anhänglich. Das kommt sicher noch aus der Anfangszeit…“, sagt Meike Breining und stockt. Ihr fällt es noch heute schwer, über Samuels Start ins Leben zu sprechen. Denn der war alles andere als einfach. Samuel kommt in der 26. Schwangerschaftswoche, 14 Wochen zu früh, auf die Welt. Er wiegt nur 965 Gramm, seine Lunge ist noch nicht voll ausgereift. Im Perinatalzentrum Level 1 des Klinikum Esslingen werden sehr kleine Frühgeborene wie Samuel optimal intensivmedizinisch betreut. Dort steht modernste Medizintechnik bereit und ein hochqualifiziertes Team aus Ärzten und Pfl egekräften kümmert sich rund um die Uhr um die kleinen Patienten.

Sehnsucht nach Normalität

In der ersten Zeit muss Samuel kontinuierlich beatmet werden. Eine lebensnotwendige Maßnahme, aber auch eine Belastung für seine zarte Lunge. Es kommt zu Komplikationen, doch Samuel ist ein Kämpfer. Nach drei Monaten in der Klinik ist er so stabil, dass seine Eltern ihn mit nach Hause nehmen dürfen. Einerseits ist Meike Breining erleichtert: „Jeden Morgen in die Klinik, sich jeden Abend wieder verabschieden. Und immer diese Angst. Wir hatten am Ende große Sehnsucht nach einem Stück Normalität.“ Andererseits weiß die 31Jährige: Von echter Normalität ist die Familie auch nach der Entlassung noch weit entfernt. Samuels Lungenkapazität ist noch nicht so weit hergestellt, dass er ohne zusätzliche Sauerstoffversorgung auskommt. „Anfangs hatten wir Sorge, ob das alles gut geht zuhause. Aber Frau Molfenter hat zu mir gesagt: Sie packen das. Und da habe ich ihr geglaubt“, sagt Meike Breining.

Anja Molfenter hat viel Erfahrung im Umgang mit Frühgeborenen. Seit 29 Jahren arbeitet sie als Kinderkrankenschwester, seit 2011 am Klinikum Esslingen. Dort leitet sie auch die Sozialmedizinische Nachsorge. Ihr Team besteht aus drei Kinderkrankenschwestern, einer Sozialpädagogin und einer Ärztin.

„Wir bauen Brücken von der Klinik nach Hause: Wir unterstützen Familien von Frühgeborenen und schwerkranken Kindern nach einem längeren Klinikaufenthalt dabei, im eigenen Umfeld zurechtzukommen“, erklärt sie.

"Wir bauen Brücken von der Klinik nach Hause."

Anja Molfenter, Kinderkrankenschwester

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Der Alltag birgt Herausforderungen

Dass junge Mütter wie Meike Breining der Entlassung aus der Klinik oft mit gemischten Gefühlen entgegenschauen, kann Anja Molfenter gut nachvollziehen: „Die Eltern, die wir betreuen, mussten oft Situationen durchstehen, in denen es fraglich war, ob das Kind überlebt. Da kommen viele Ängste und Unsicherheiten auf. Zumal bei einem Frühgeborenen kleine, banale Dinge, in einen ganz anderen Kontext rücken als bei einem reif geborenen Säugling: Wieviel isst und trinkt das Kind, wieviel Stuhlgang hat es? Mitunter müssen zuhause auch bestimmte Therapien fortgeführt werden. Manche gehen mit Sauerstoffgerät und Monitor nach Hause, andere brauchen noch eine Magensonde, über die sie ernährt werden. Es gilt, Finanzierungsfragen mit Krankenkasse und Ämtern abzuklären und Pflege, Medikamentenversorgung, medizinische Hilfsmittel oder Physiotherapie zu organisieren. Der Alltag zuhause ist also eine große Herausforderung, vor allem wenn gleichzeitig noch Geschwisterkinder zu versorgen sind. Der Sozialmedizinische Dienst entlastet in dieser Situation.“

Die Betreuung beginnt weit vor der Entlassung: Bei Meike Breining stellt Anja Molfenter sich eine Woche nach Samuels Geburt vor und bleibt während der gesamten stationären Zeit mit der Familie in Kontakt. „Wir lernen die Patienten und ihre Bedürfnisse während des Klinikaufenthalts kennen, damit wir hinterher eine gute Vernetzungsarbeit leisten können und wissen, was die Familie braucht, damit der kleine Patient gut zuhause bleiben kann.“

Praktische und seelische Unterstützung

Nach ihrem Aufgabengebiet gefragt, antwortet Anja Molfenter: „Wir sind Case-Manager. Wir übernehmen zum Beispiel Pflege oder Physio nicht selbst, sondern organisieren entsprechende Angebote für die Familie. Dabei arbeiten wir eng und vertraut mit vielen Akteuren im Kreis Esslingen zusammen. Dass man sich untereinander kennt und die Kommunikation so gut klappt, erleichtert vieles.“

„Frau Molfenter war ein Engel für uns, ich weiß nicht, ob ich es ohne sie gepackt hätte. Sie hat sich um alles gekümmert: Physio, Pflege, den Hausbesuch des Kinderarztes und so weiter. So konnten wir Eltern uns in der ersten Zeit zuhause komplett auf Samuel konzentrieren“, berichtet Meike Breining. Nicht nur die organisatorische Unterstützung war für sie wertvoll: „Es war gut zu wissen, dass da jemand ist, der sich auskennt, den man um Rat fragen kann – zur Ernährung, wenn Samuel einen wunden Po hatte oder als sich eine OP-Narbe entzündet hat. Frau Molfenter kam in der Regel ein bis zwei Mal die Woche vorbei und auch außerhalb der Besuchstermine konnten wir sie jederzeit anrufen.“ Anja Molfenter ergänzt: „Gerade am Anfang ist das Wichtigste, zuzuhören und wahrzunehmen. Wahrnehmen, wenn etwas mit dem Kind nicht so ist, wie es sein sollte und dann adäquat zu reagieren. Aber auch, wahrnehmen, welche Fortschritte das Kind macht. Viele Eltern sind so angstbeladen, dass sie Positives nicht sehen. Das ist aber wichtig, damit die Familie Kraft und Mut schöpfen kann.“

Herzensangelegenheit

Rund 60 bis 80 Familien pro Jahr begleitet die Sozialmedizinische Nachsorge am Klinikum Esslingen. Früher war das interdisziplinäre Nachsorgeteam rund um Anja Molfenter bei der Lebenshilfe Göppingen angestellt, seit Mitte 2020 agiert das Klinikum Esslingen als Träger. Die Finanzierung erfolgt über die gesetzliche Krankenkasse. Im Regelfall werden 20 Stunden Nachsorge bezahlt, im Ausnahmefall auch mal 30. Anspruch auf Unterstützung haben chronisch kranke oder schwerstkranke Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre. In besonders schweren Fällen gilt der Anspruch bis 18. Voraussetzung ist, unabhängig vom Alter, dass die Nachsorge aufgrund der Art, Schwere und Dauer der Erkrankung notwendig ist, um den stationären Aufenthalt zu verkürzen oder die anschließende ambulante Behandlung sicherzustellen. „Wenn wir sehen, dass eine Familie Unterstützung benötigt, wollen wir aber auch in den Fällen helfen, in denen die Krankenkasse nicht greift. Deswegen ist unsere Arbeit auch auf Spenden angewiesen“, sagt Anja Molfenter. Unterstützer sind neben dem Förderverein proklinikum e.V. private Einzelspender.

Für Anja Molfenter ist die Sozialmedizinische Nachsorge eine persönliche Herzensangelegenheit: „Ich habe vor 26 Jahren selbst ein schwer krankes Kind bekommen und kann bis ins Innerste nachvollziehen, wie sich das anfühlt. Wir waren völlig hilflos, damals gab es die Sozialmedizinische Nachsorge noch nicht. Mit Begleitung wäre vieles einfacher gewesen.“

Jedes der Kinder, die sie betreut, wächst ihr ans Herz – und umgekehrt. „Wir werden oft noch Jahre später zu Festen oder Geburtstagen eingeladen.“ Nicht alle Geschichten gehen gut aus. „Auch dann unterstützen wir. Zum Beispiel, indem wir die Begleitung durch ein Palliativteam organisieren. Trotzdem: Zur Beerdigung eines Kindes zu gehen, das man über Monate betreut hat, das nimmt mit.“ Andererseits schöpfe sie aber Motivation, wenn ein Kind sich gut entwickelt. So wie Samuel. „Der ist ein richtig aufgeweckter kleiner Kerl geworden“, freut sie sich. In wenigen Tagen feiert der kleine Mann seinen ersten Geburtstag.

Klinikum Esslingen
Klinik für Kinder und Jugendliche
Anja Molfenter, Case Managerin, Kinderkrankenschwester
Telefon 0711 31033445
a.molfenter@klinikumesslingen.de

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